Sonntag, 26. Februar 2012

"Ja, wir lieben dieses Land" ... (Tucholsky) – Teil der Nation-Hymne



Kurt Tucholsky 1928 in Paris


4. Strophe micha vRhein  
Deutschland haben wir zur Seite!
Friede dem vereinten Land;
restauriert sind alte Städte,
schön der Küsten weißer Sand;
Schlösser, Burgen, Glocken, Feste,
Goethe, Dürer, Schliemann, Kant –
fast unendlich scheint die Liste,
ja, wir lieben dieses Land.


Kurt Tucholsky:

"Ja, wir lieben dieses Land.
Und nun will ich euch mal etwas sagen: Es ist ja nicht wahr, daß jene, die sich national nennen und nichts weiter sind als bürgerlich‑natio-nalistisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben.
Weder der Herr Regierungsvertreter im Gehrock noch der Ober-studienrat noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.
Sie reißen den Mund auf und rufen: "Im Namen Deutschlands ... !" Sie rufen: "Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es." Es ist nicht wahr.
... Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land.
... Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leier-kasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat."


Nun wird hoffentlich klar, warum die Liebes-Erklärung für Deutschland von Kurt Tucholsky Teil der Nation-Hymne geworden ist – Liebe zu unserem Land führt über diesen Geist, kann wegen der Shoah nur über ihn führen, vorbei an Neonazis, vorbei an Ignoranz und moderner Macht-Politik, die geistig kaum noch ansprechbar ist, die gewählt wird und wieder verschwindet, hin zu diesem unserem Land voller Kultur und voller Werte, die ganz vorsichtig und sorgfältig behandelt und entdeckt werden müssen. Liebe, auch zu einem Land, muss behutsam sein.

28/Febr/2011 GMT+7 11:01

Liebe, auch zu einem Land, wird individuell verschieden sein, jugendlich stürmisch, cool bis gleichgültig, intellektuell ablehnend, Medien-wirksam kalkuliert, pessimistisch-enttäuscht, mimosenhaft-zögerlich, Goethe- oder Stellvertreter-verlangend, radikal fordernd, freiheitlich-unverbindlich, ideologisch berechnend, aufrechnend-genau, verschämt, skurril, lespisch, homosexuell, Erfahrungen-durchwachsen, pädophil-verheimlichend, streitbar-süchtig, selbst gefühlskalt, süchtig-erblindet, widersprüchlich, Zufall-abhängig, launisch, abwartend, falsch, psychopatisch, jauchzend-übertrieben, zurückhaltend-überzogen und so weiter. Die normale Liebe kommt nicht vor. Sie ist selten. Die "stille Liebe" ohne Fahnen, Sentimentalität oder Schwert gehört dazu. Diese Liebe ist im Begriff, das Objekt der Liebe zu verlieren. In ihr steckt das Potential der Tragödien. Liebe vergrößert dieses Potential und will sich deshalb zurückziehen, will still sein, will sich verstecken. Das Weltliche lauert und droht sie zu zerstören.

Jeder wird also die Zeile anders empfinden, frei interpretieren, im Stillen mit Teilen des eigenen Lebens assoziieren. So soll es ja sein. Sie wird aber auch vorbereitet. Alle sieben Strophen zusammen leiten zu Empfindungen der Kindheit, die noch ursprünglich waren, noch unverdorben, noch gegeben, noch allgemeingültig-geschaffen, noch ohne Erziehung, noch triebhaft lernbegierig. Direkt erwähnt werden Kinder in der ersten und sechsten Strophe der Nation-Hymne. Ich wüsste eigentlich keine andere Hymne, in der die Kinder des eigenen Landes so gewichtet werden. Die Diskussion bei Jauch am Sonntag brachte die Feststellung heraus, Deutschland sei hinsichtlich der Behandlung seiner Kinder ein "Entwicklungsland". Eine solche Kritik verbietet sich in einer Hymne. Sie kann auf den richtigen Weg hinsteuern, mehr nicht.

Dazu müsste sie aber erst einmal wahrgenommen werden. Ich habe manchmal den Eindruck, sie sei eine unerwünschte Nachricht, diskriminiert von "oben", ähnlich dem Nachrichten-"Verbot" oder dem redaktionellen Schweige-Gebot, dass etwa der Spenden-Geber Kohls, den er auch nach seiner Spenden-Affäre trotzig verschwieg, der Medien-Mogul Kirch war, oder dass der Fußball-Bundes-Trainer schwul ist. Solche redaktionellen Gebote/Verbote liegen zuhauf in den Schreibtisch-Schubladen der einflussreichen Radakteure der deutschen Medien-Landschaft. Sie befolgen sie, weil nahezu alle Medien bereits von Parteigängern durchsetzt sind, die übermittelte Macht weiter geben und Meinungen manipulieren.


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